Twin Peaks in Priesnitz

Karen Duve: Regenroman (1999)

"Der verhangene Himmel hatte eine blaue Pastellfarbe angenommen. Nur über den Bäumen durchbrachen zwei lange schräge Risse die Wolkendecke, aus denen gelbe Sonnenstrahlen auf die Erde hinunterstießen, ordentlich gebündelt, wie Wasser, das aus der durchlöcherten Tülle einer Gießkanne fließt. Violetter Dunst lag über dem Moor und ließ die meisten Konturen in psychedelischen Lichteffekten verschwimmen. Die skelettierten Bäume eines ertrunkenen Wäldchens traten hingegen so deutlich und schwarz hervor, als hätte ein Choleriker in seiner therapeutischen Malgruppe sie gezeichnet und dabei den Bleistift verschiedene Male abgebrochen. Auch das Gras, das aus einem Baumstumpf wuchs und die dicken Zigarren der Rohrkolben gleich hinter dem Gartenzaun - alles so deutlich wie Scherenschnitte. Irgendein Tier gab einen rauen, knarrenden Ton von sich." (Regenroman, S.37)

Gustav Seibt beschrieb vergangene Woche in seinem Beitrag zur Leitkulturdebatte in der Wochenzeitung "Die Zeit" die Wiederentdeckung eines neuen unsentimentalen Heimatgefühls in der jungen deutschen Literatur. Es werden "Bilder der Heimat wieder möglich, die auf ihre zeitgenössische Weise romantische Motive wiederholen und dabei einfach gute Gefühle ausdrücken"[1] . Duves Regenroman gehört trotz der geradezu liebevollen Boshaftigkeit, mit der vom Verfall und Untergang des mittelmäßigen Schriftstellers Leon erzählt wird, zweifellos dazu. Dass die "guten Gefühle" dabei auch Schadenfreude und Vergnügen am Elend der Anderen beinhalten, tut der Sache keinen Abbruch. Das ostdeutsche Städtchen Priesnitz mit seinem Moor, an dem beispielhaft das Landleben demontiert wird, bietet dabei den Hintergrund für eine Ansammlung skurriler Protagonisten. Das Moor selbst tritt personifiziert in der Person der Isadora auf und spielt seine unheilbringende Rolle. Damit will ich auch sagen, dass der Regenroman, der seine Fiktionalität schon im Titel trägt, nicht als realistische Erzählung gelesen werden kann, auch wenn es manchem Leser auf den ersten Blick so scheinen mag. Tiere und Pflanzen, die verschiedenen Elemente Wasser, Feuer, Erde und Luft und die Moorlandschaft stehen gleichberechtigt neben den handelnden Figuren. Das Wetter ist mit seinen ständigen Nieseln und Schauern, Strömen und Güssen genauso ein Akteur wie Martina, die bulimische Lebensgefährtin des unglücklichen Helden Leon. Ihre Gegenspielerin, die dicke geheimnisvolle Isadora - von ihr erfahren wir im Laufe des Romans so gut wie gar nichts - verbindet die Welten des realistischen und des symbolischen. Am Ende ruft sie Leon zu sich wie eine moderne Lorelei und lockt ihn in den Erstickungstod im Moor.

In einem Spiegelinterview [2] beklagt Duve, dass der Verlag sie aus Gründen der Verkaufbarkeit überredet hat, viele allzu fantastische Elemente herauszukürzen. Obwohl das für Freunde fantastischer Literatur grundsätzlich eine schlechte Nachricht ist, hat es dem Buch nicht unbedingt schlecht getan - natürlich kennen wir die vollständige Version nicht. Der vorliegende Text ist nicht eindeutig einer Gattung zu zuordnen. Es bleibt ungewiss, ob er die wahnhafte Wahrnehmung der Figuren beschreibt oder ob es sich um eine märchenhafte Welt handelt. Diese Uneindeutigkeit verstärkt das Gefühl der Unwirklichkeit und Konstruiertheit, indem sie dem Leser den eindeutigen Standpunkt entzieht.

Duve verfügt im Regenroman souverän über Motive aus der Hochliteratur wie aus Film, Fernsehen und Trivialliteratur. Das Ensemble der Dorfbewohner vom crossdressenden Einzelhändler bis zur lesbischen Heimwerkerin könnte auch aus einem der alptraumhaften Filme von David Lynch stammen, der im Örtchen Priesnitz die nächsten Folgen der deutschen Version seiner Serie Twin Peaks drehen könnte. Genauso sehr mag man sich aber auch an eine Erzählung von E.T.A Hoffmann erinnert fühlen, aus der der säurespuckende Salamander zu Beginn des Romans stammen könnte. Das sind beileibe nicht die einzigen Anspielungen, Zitate und Bezüge des Romans. Manchmal scheint es, als ob die Erzählung aus nichts anderem als aus schon tausendmal gesehenen und gelesenen Szenen und Sätzen besteht. Man würde dem Roman unrecht tun, ihm mangelnde Originalität und Klischeehaftigkeit vorzuwerfen. Er bezieht sich nicht auf eine wie auch immer geartete Realität, sondern benutzt als seinen Referenzpunkt die uns umgebende Medienwirklichkeit. Das Vergnügen beim Lesen besteht gerade darin, die bekannten Elemente in immer neuer Form wiederzuerkennen und neu verknüpft zu sehen. Der Regenroman jongliert souverän mit Metaphern, Symbolen und Bildern, die alle miteinander zusammen hängen, jedoch nie ganz auf einen einzigen Sinn zurückgeführt werden können.

Zugleich ist der Regenroman sprachlich überbordernd und streut sorgfältig im Text verteilt hysterisch witzige Metaphern ein, die die Grenze zur Albernheit streifen, aber nie überschreiten. Die von einem Choleriker gezeichneten Bäume des Anfangszitats sind nur ein Beispiel für Duves Sinn für Vergleiche. Wie Leons Hilflosigkeit beschrieben wird, als er mit Hexenschuss bewegungslos in seinem selbstgeschaufelten Wassergraben liegt: "Einer der kleinen Frösche kam angepaddelt, hielt sich an Leons Brille fest, verschnaufte kurz und schwamm weiter" ist knapp und treffend und brüllend komisch.

Man kann das Buch jedoch bestenfalls als Tragikomödie bezeichnen. Denn die Geschichte vom langsamen Verfall und Tod des zweitklassigen Schriftstellers Leon bietet uns auch einen umgekehrten Bildungsroman. Wir ahnen schon, als Leon das erste Mal das Haus sieht und sich zum Kauf entschließt, dass der folgende Untergang unausweichlich ist. Manchmal kann man fast Mitleid mit dem armen Kerl haben, wenn es nicht so amüsant wäre, ihm beim Untergang in die Tiefen des Moores zu zuschauen.

Der Regenroman ist ein im besten Sinne postmodernes Buch. In der gegenwärtigen literarischen Diskussion mag das kein Kompliment mehr sein, als Leserin habe ich mich intelligent unterhalten gefühlt. Und das ziehe ich persönlich der Authentizität vieler Bücher der jungen deutschen Literatur vor.


1 Gustav Seibt: "Kein schöner Land", Die Zeit 45/2000, 2. November 2000, S. 57.
2 DER SPIEGEL 41/1999: "Ich stehe gern im Regen", Karen Duve im Interview mit Volker Hage und Mathias Schreiber.


V. Djordjevic 11/2000



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