"We are the future cunt"

Das Internet als weiblicher Raum

Techbabes, webgrrrls, netchicks, cybergrrrls, cyberfeminists - die Bezeichnungen, die sich Frauen und Mädchen im Netz geben, sind vielfältig. Trotz der angeblichen Technophobie von Frauen haben sich in den letzten Jahren die unterschiedlichsten Gruppen und Einzelpersonen ihren festen Platz im Netz geschaffen. Das reicht von technischen Selbsthilfegruppen, feministischen Zirkeln, Künstlerinnen, Medientheoretikerinnen, coming-out Unterstützung von lesbischen Mädchen bis zu den hinlänglich aus dem Printbereich bekannten Zeitschriften, die im Netz ihre bewährte Mischung aus Mode, Schönheitstips und Kochrezepten präsentieren. Für viele Frauen ist die Anwesenheit im Netz zu einer Selbstverständlichkeit geworden, die sie nicht mehr gegen Exotismuserwartungen der Außenwelt verteidigen möchten.

Die Bandbreite der Projekte, die sich in irgendeiner Form als "weiblich" definieren, ist so groß geworden, dass ein umfassender, vollständiger Überblick nicht möglich ist. Genauso wie im realen Leben (im Internet als RL - Real Life - abgekürzt) lässt sich keine einheitliche "weibliche" Identität mehr ausmachen - falls dies denn je möglich war - , sondern eine bunte Vielfalt unterschiedlichster Interessen, Wahrnehmungs- und Selbstdarstellungsweisen. Dieser Artikel kann nur eine subjektive Sicht vermitteln, die sich einerseits an einem sehr weiten Begriff von Netzkunst orientiert, andererseits aber auch versucht, eine bestimmte Art von Netzkultur zu vermitteln, die nicht nur als "weiblich" bezeichnet werden kann. Man würde den Arbeiten der Künstlerinnen und Aktivistinnen sicherlich nicht gerecht, nähme man sie ausschließlich als Ausdruck einer wie auch immer gearteten "weiblichen" Weltsicht wahr.

Viele Projekte, die ich wichtig finde und in die Liste aufgenommen habe, sind nicht unbedingt Kunstprojekte im engeren Sinne. Das Netz ist ein neues Medium, zu dessen Beschreibung und Einordung alle möglichen Vergleiche mit anderen - den "alten" - Medien bemüht wurden. Auf diese Art verliert jedoch die Kritikerin die wirklichen Veränderungen leicht aus den Augen. Eine Unterscheidung zwischen Netz-"kultur" und Netz-"kunst" kann in dieser Schärfe nicht getroffen werden. Alle Daten im Internet sind grundsätzlich gleichwertig und es bedarf einer stärkeren Rekontextalisierung als in der "Real World", wo durch den Zusammenhang in der Regel klar ist, wie ein Werk einzuordnen ist. Viele Netzprojekte arbeiten gerade in diesem Spannungsfeld zwischen Kunst, Netzkultur, Pop und technologischer Bedingtheit und machen es für sich fruchtbar.


Kunstprojekte

Das erste Projekt, das ich vorstellen möchte, bewegt sich jedoch im institutionalisierten Raum der großen Museen. In den letzten zwei Jahren gab es vermehrt Anstrengungen auch "konventioneller" Museen, sich im elektronischen Sektor zu profilieren. Als eine der ersten Institutionen produzierte das Guggenheim Museum in New York mit Shu Lea Cheangs BRANDON ein Onlineprojekt, eine aufwendige multimediale Untersuchung über die Grenzbereiche der Geschlechterkonstruktion. Cheang beschäftigt sich mit Brandon Teena, einem Frau-zu-Mann-Transsexuellen, der nach der Entdeckung seines "wahren" Geschlechts von zwei Männern vergewaltigt und eine Woche danach umgebracht wurde. BRANDON steht stellvertretend für die Opfer, die das binäre Geschlechtersystem in unserer Gesellschaft hervorgebracht hat. Im elektronischen Himmel trifft Brandon Teen Angel Herculine Barbin, dem berühmten Hermaphroditen des 19. Jahrhunderts, und Venus Extravaganza, die im Film "Paris is burning" Madonna das Voguen beigebracht hat. BRANDON a one year narrative project in installments <brandon.guggenheim.org> (Die Site hat sehr viele große Grafiken, daher ist eine schnelle Internetanbindung notwendig, will man die Seiten problemlos anschauen.)

"Melrose Place" ist eine der weltweit erfolgreichsten amerikanischen Fernsehserien. Schöne junge Menschen geben sich in paradiesischer Umgebung der Sünde hin. Es wird gelogen und betrogen, dass es eine Lust ist. Im Rahmen dieser Traumwelt hat das GALA Committee, eine Gruppe von Künstlerinnen aus Georgia und Los Angeles, Kunstwerke eingeschleust, die sich mit feministischen und gesellschaftskritischen Themen auseinandersetzen: AIDS, Arbeitsbedingungen von Frauen, Medienkritik, um nur einige zu nennen. Die Kunstwerke, die in der Serie auftauchten, werden am 12. November 1998 von Sotheby's in Beverly Hills versteigert: unter <MPArt.com> lassen sich alle Werke inklusive der Szenen, in denen sie vorkommen, begutachten.
Auf der Website <www.tart.org/eliza/> wurde das Projekt begleitend kommentiert. Eliza, ein fiktionaler Fan, berichtet von ihren Eindrücken zwischen TV und Lebenswirklichkeit.
In the name of the Place <MPArt.com> und <www.tart.org/eliza/>

Der Londoner Stadtteil Cramley ist ein Vorzeigebezirk: Er fördert neue Technologien und Kunst, der er traditionell einen hohen Stellenwert einräumt, Wandgemälde der anerkannter Künstler schmücken seine Straßen, Industrie und Wirtschaft sorgen sich um das Wohl und Wehe der Einwohner und unterstützen öffentliche Bibliotheken, die eine einzigartige Sammlung von Science Fiction Romanen bereithalten. Rachel Baker hat in Zusammenarbeit mit Luce Eyers and Steven Rushton vom Everything Magazine einen ganz alltäglichen Alptraum in einem scheinbar alltäglichen Stadtviertel in Szene gesetzt. Es dauert eine Zeit, ehe man sich fragt, was stimmt hier eigentlich nicht. Die Website unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von den unzähligen Informationsseiten vieler Städten und Kommunen. Das Projekt ist langfristig angelegt und soll on- und offline mit Kampagnen zur Stadtabgeordnetenwahl fortgesetzt werden. Cramley ist überall!
CRAMLEY - THE WORLD IN A BOROUGH <www.backspace.org/everything/cramley/cramleycentre.html>


Old school

WomEnhouse untersucht die "Politik der Häuslichkeit und Geschlechterbeziehungen" in Fortsetzung des Womanhouse Projekts, das Judy Chicago und Miriam Schapiro 1972 mit dem "Feminist Art Program" des "California Institute of the Arts" realisierten. Damals wurde ein Wohnhaus in Hollywood von unterschiedlichen Künstlerinnen zu einem Gesamtkunstwerk umgestaltet, das die sozialen und politischen Hintergründe von Häuslichkeit ("domesticity" hat im Amerikanischen eine weitere Bedeutung als im Deutschen) beleuchtete. Heute mag vieles an der feministischen Kunst der 70er pathetisch wirken, was aber nichts an ihrer politischen bis in die Gegenwart reichenden Bedeutung ändert. Die Webseiten sind grafisch einfach gehalten und funktionieren auf der Basis einer einfachen Hypertextstruktur. 24 Künstlerinnen, Schriftstellerinnen, Architektinnen, Kunst- und Kulturwissenschaftlerinnen untersuchen die Schnittstellen von Geschlecht, Rasse, Klasse und Sexualität, die in der "psychischen Arena des Häuslichen" aufeinandertreffen.
WomEnhouse <www.cmp.ucr.edu/womenhouse/>

Eine interessante Ergänzung zu WomEnhouse ist "re:tracing - the feminist art program". Die Künstlerin Ulrike Müller befragt die Teilnehmerinnen des Programms nach ihren Erfahrung und was es für ihr berufliches Fortkommen als Künstlerin gebracht hat, in einer feministisch orientierten Klasse gelernt zu haben. Lange wurde die feministische Kunst der 70er als politisch zwar wichtig, künstlerisch aber von minderer Qualität beurteilt. Das ändert sich seit einiger Zeit, da viele vor allem jüngere Künstlerinnen die Arbeiten wieder entdecken und Traditionslinien aufzeigen, die sich über die letzten 30 Jahre erhalten und weiterentwickelt haben. Müller befragt die Teilnehmerinnen von ihrem Standpunkt als heutige Künstlerin und sucht nach Anknüpfungen, die heutige Erfahrungen mit der Geschichte der feministischen Kunst verbinden. Ein gelungener Beitrag zu einer weiblichen Kunst- und Kulturgeschichte.
Ulrike Müller: re:tracing - the feminist art program <www.t0.or.at/~um/>


Gruppen

Das Internet scheint kollaborative Arbeiten geradezu herauszufordern. Eine der ältesten und schon legendären Künstlerinnengruppen, die im schwülen Sommer 1991 aus den australischen Cybersümpfen auftauchte, waren VNS Matrix. Zeitgleich mit Sadie Plant in England prägten VNS Matrix den Begriff "Cyberfeminismus". Sie brachten den Körper und seine Säfte in den körperlosen Cyberspace und infiltrierten ihn mit dem cyberfeministischen Virus. Als Pionierinnen reklamierten sie Computer und Internet für Frauen und protestierten auf humorvolle Weise gegen "Big Daddy Mainframe" und seine Jungs. Sie arbeiten im WorldWideWeb, in MOOs - virtuellen Textwelten -, stellen CD-ROMs her und plakatieren den realen Raum mit ihren Manifesten. Ihr Abschlußprojekt wird die Realisierung eines Computerspiels für Mädchen namens "Bad Code" sein.
VNS MATRIX <sysx.apana.org.au/artists/vns/>

Die FACES Mailingliste besteht seit April 1997 und versammelt gegenwärtig etwa 160 Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern. Gegründet wurde sie von Kathy Rae Huffman und Diana McCarty, die während ihrer langjährigen Arbeit in verschiedenen Medienzusammenhängen (Mailinglisten, kuratorische Arbeiten usw.) nach einer Weile das Bedürfnis verspürten, all die versprengt in der Männerdomäne arbeitenden Frauen zusammenzuführen, um durch die gemeinsame Präsenz sichtbarer und effektiver auftreten zu können. Unter dem Motto "women in new media" hat sich die Liste in den fast zwei Jahren ihres Bestehens zu einem nützlichen Forum entwickelt, in dem Projekte realisiert, Kontakte geknüpft und über unterschiedliche frauen- und medienrelevante Themen diskutiert wird. Es ist damit gelungen, eine Gemeinschaft zu schaffen, die sich in ihrem Fortkommen gegenseitig unterstützt und den männlichen Seilschaften etwas entgegensetzt. Auf den Projektseiten von FACE Settings von Kathy Rae Huffman und Eva Wohlgemuth gibt es weitere Informationen zu der Liste.
FACES mailinglist <faces.vis-med.ac.at>


E-Zines

Man kann E-Zines getrost das am weitesten verbreitete Genre im Internet nennen. Beeinflußt von der Zine-Kultur der Riotgrrls haben auch bald die ersten elektronischen Fem-Zines den Sprung ins Netz gewagt. Es gibt unzählige, die sich mit jedem möglichen Thema dieser weiten Welt beschäftigen. Die Notwendigkeit zur Auswahl hinterläßt hier mehr noch als in den anderen "Rubriken" das Gefühl, unvollständig zu sein.

geekgirl, "the world's first cyberfeminist e-zine", ist das Werk einer Frau: Rosie X. Geekgirl ist eine bunte Mischung aus Theorie, Kunst und Technik. geekgirl verbreitet Wissen über die Nutzung von Computern und Netzwerken, erzählt von Künstlerinnen, die mit neuen Technologien arbeiten, interviewt Theoretikerinnen wie die selbsternannte Cyberfeministin Sadie Plant. Die Leserinnen werden explizit aufgefordert, selbst im Netz aktiv zu werden. Unter dem Motto "Grrls need Modems" verbreitet geekgirl das Wissen und die Fähigkeiten, den Cyberspace zu erobern.
GEEKGIRL <www.geekgirl.com.au/geekgirl/>

Aus dem bisherigen wurde schon deutlich, daß das Internet angloamerikanisch dominiert ist. Europa und speziell Deutschland nimmt nur einen kleinen Platz ein. Es ist natürlich problematisch, daß die Informationen des globalen Netzes nur denjenigen offenstehen, die der englischen Sprache mächtig sind. Zum Ausgleich hier zwei Zines aus Berlin: NEID und "Blau".
Beides sind in erster Linie Druckerzeugnisse, die schon seit einigen Jahren relativ erfolgreich im Realen Raum existieren, aber auch parallel im Cyberspace gut funktionieren. NEID ist ein Kollektiv von KünstlerInnen um Ina Wudtke, die sich seit sieben Ausgaben mit der Konstruktion von Identität, was Geschlechtsidentitäten einschließt, beschäftigen. Das Heft ist nur ein Teil der Aktivitäten, NEID organisiert außerdem Partys, Lesungen, macht Ausstellungen und veröffentlicht CDs.
NEID <www.thing.de/neid/>

"Blau" gibt es als Printausgabe schon seit 1989 und hat es bisher auf stattliche 18 Ausgaben gebracht. Seit Ausgabe 13 gibt es Blau auch online. Das "femzine aus Berlin" behandelt politische und kulturelle Themen, die hauptsächlich um die politische Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft handeln.
BLAU <www.thing.de/blau/>


Theorie

Theorie nimmt einen wichtigen Stellenwert innerhalb der feministischen Community ein, das Netz macht da keine Ausnahme. Donna Haraway gehört mit Judith Butler zweifellos zu den "Popstars" der Theorieszene. Mit ihrem "Cyborg Manifesto" hat sie einen wichtigen Beitrag zum feministischen Diskurs geleistet und die Beschäftigung mit Technologie auch hier salonfähig gemacht. Haraway hat sich selbst nie als "Cyberfeministin" bezeichnet, wäre aber m.E. die erste, die diese Bezeichnung verdiente. Mit dem Cyborg schuf sie ein Konzept, durch das feministische Theorie aus ihrem Ghetto herausgeholt wurde und Geschlechterfragen für die Gesamtgesellschaft fruchtbar gemacht wurden. "Reverse Transcript - A Hyperlink to Donna Haraway" versammelt Links zu verschiedenen Aufsätzen und Interviews von Haraway, aber auch Texten von anderen AutorInnen, Linklisten zu Genderfragen und Literaturtips.
Reverse Transcript - A Hyperlink to Donna Haraway <www.asahi-net.or.jp/~RF6T-TYFK/haraway.html>


Real Techgrrls

Eine Linkliste zu Frauen in der Computerwelt wäre nicht vollständig, wenn der Name Ada Lovelace nicht fallen würde. Ada Lovelace hat für die - nie gebaute - Difference Engine von Charles Babbage die erste "Programmiersprache" erfunden, die auf der Basis von Lochkarten, wie sie auch für mechanische Webstühle verwendet wurden, funktionierte. Lovelace und Babbage waren ihrer Zeit weit voraus, so daß ihr Konzept erst hundert Jahre später in die Wirklichkeit umgesetzt wurde.
Zu Ehren von Ada Lovelace wurde das "Ada Project", das Internet Ressourcen von Frauen in der Informatik versammelt, gegründet. Hier finden sich die Frauen, die direkt an der Weiterentwicklung der technischen Grundlagen der Informationstechnologie arbeiten und wie selbstverständlich beweisen, daß die Informatik keine Männerdomäne sein muß.
The Ada Project - Tapping Internet Resources for Women in Computer Science <www.cs.yale.edu/HTML/YALE/CS/HyPlans/tap/tap.html>

Hedy Lamarr kennen die meisten nur als Schauspielerin. Die wenigsten wissen, daß sie zusammen mit dem Musiker George Antheil die Grundlagen für eine abhörsichere Funksteuerung von Torpedos erfunden hat, auf deren Prinzip auch heute noch die GSM-Technik von Handys funktioniert. Richard Brem, Christine Zmoelnig und Tobi Schaefer haben dieses Jahr eine Installation auf der Ars Electronica in Linz als Hommage an die Lamarr realisiert. Zur Installation gibt es eine Website, in der Lamarrs Leben und Werk dargestellt werden.
Hedy Lamarr - Hollywood-Schauspielerin und Erfinderin <www.hedylamarr.at>


Linklisten

Die meisten interessanten Projekte findet man, in dem man im Internet auf gut recherchierte Linklisten stößt. Deshalb endet dieser Artikel mit zwei Empfehlungen:
Viktoria Vesnas f-e-mail versammelt Projekte von Künstlerinnen, die im Netz arbeitet. Vesna möchte damit weibliche Vorbilder vorstellen und das Vorurteil von der Technologiefeindlichkeit von Frauen der Lüge strafen.
f-e-mail <www.arts.ucsb.edu/f-e-mail/>

Auf den schon weiter oben im Zusammenhang mit der Mailingliste FACES erwähnten Seiten des Projekts FACE settings gibt es ausführliche Listen zu vielen anderen Frauenprojekten. Kathy Rae Huffman und Eva Wohlgemuth versammelten mit FACE settings in der Tradition von Judy Chigagos Dinner-Partys Frauen, die mit neuen Medien arbeiten, zu Real-Life-Abendessen als Erfahrungsaustausch- und Kontaktbörse. Das Projekt wurde mit der FACES mailingliste fortgesetzt. <faces.vis-med.ac.at>

Valentina Djordjevic



Dank an Verena Kuni, das Künstlerhaus Bethanien Berlin, die FACES Mailingliste


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