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Künstlerinnen in virtuellen Räumen

[Dieser Aufsatz entstand für die Dokumentation des Symposiums genus artis im Künstlerhaus Plüschow im Juli 2000, erschienen im Juni 2001.]

Characters & Gender
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Your character, as well as every other character in this MOO, has a gender. The choice of gender determines which pronouns will be used when referring to that character. If you type look me, you'll see a phrase about being awake and alert; the pronouns used there are determined by your gender. Every character is given the default gender when it is created. In this MOO, the default gender is neuter. Spivak is an indeterminate gender (rather than referring to such a person as s/he or he/she, e is the proper pronoun).
Enter
    @gender
now to see your current gender, the pronouns that are used for you, and the possible genders. Then try
    @gender splat
and then look at yourself (type look me).
You can change your gender whenever you like; right now you should use @gender to set yourself to the gender of your choice (unless you'd like to leave it as splat).

aus den Hilfedateien im LambdaMOO

Im Netz ist dein Körper unsichtbar. Dein Gegenüber weiß nicht, wer du bist, wie du aussiehst, welche Hautfarbe du hast und welches Geschlecht. Du kannst dir deine Online-Personlichkeit, die Maske, hinter der du dich versteckst, als die du im virtuellen Raum auftrittst, selbst zusammensetzen. Du kannst eine große, blonde Frau oder ein kleiner, glatzköpfiger Mann sein, ja du kannst sogar als Tier oder Fantasiewesen auftreten. Ob Du weiblich oder männlich bist, ist eine Frage der persönlichen Vorlieben und nicht der körperlichen Ausstattung. Du bist frei im Cyberspace.

Entspricht diese Vision der Körperlosigkeit und völligen Freiheit, sich selbst zu entwerfen, der Wirklichkeit des Onlinedaseins? Spielt der Körper im weltweiten, elektronischen Netzwerk des Internet keine Rolle mehr und verschwindet langsam? Es gibt Theorieentwürfe, die das glauben. Aber wenn man das Netz als losgelöst von der alltäglichen, der wirklichen Welt betrachtet, wird man den Menschen darin gerecht? Reduziert man dadurch nicht die Erfahrungen und Erlebnisse der Menschen, die dieses Netz aufgebaut haben und aufrechterhalten? Das subjektive Erleben des Onlineseins fördert sicherliche ein Gefühl der Kontextlosigkeit. Man ist allen sichtbaren und realen Bedingungen entrückt. Man sieht von den anderen Usern nur ihre konstruierten Online-Persönlichkeiten, so dass es einem leicht fällt zu vergessen, dass auf der anderen Seite der Tastaturen auch nur Menschen sitzen. Es ist im Internet, wie im wirklichen Leben, nicht gleichgültig, ob jemand ein Mann oder eine Frau ist. Das Geschlecht hat Auswirkungen auf die Art, wie man sich ausdrückt, wie man mit Dingen umgeht und was man sagt.

Künstler und Künstlerinnen, die das Netz als das Medium ihrer Arbeit benutzen, lassen sich daher oft anhand ihrer Netzarbeiten nicht ohne weiteres als männlich oder weiblich identifizieren. Es fällt auf, dass viele Künstlerinnen sich mit der Veränderung der Bedeutung des Körpers durch die neuen Medien und Biotechnologien beschäftigen. Dieser Text versucht jedoch nicht eine vollständigen Übersicht zugeben, noch eine Kategorisierung der verschiedenen Herangehensweisen zu vollziehen.

Es ist aus zweierlei Gründen unmöglich, in einem so riesigen und sich ständig verändernden Medium wie dem Internet einen vollständigen Überblick über die künstlerischen Aktivitäten von Frauen zu geben. Künstlerinnen arbeiten auf so viele verschiedene Weisen mit dem Netz und dem Medium Computer, dass es schwierig bis undurchführbar ist, das spezifisch "weibliche" an ihrer Kunst herauszufiltern, wenn es denn so etwas gäbe wie ein "weibliches" Kunstschaffen. Die Definition dessen, was eine Frau ist, ist schon im wirklichen Leben außerhalb des Computers schwankend geworden, wie die feministischen Debatten der letzten Jahre zeigen. Innerhalb eines Mediums, in dem jede seine eigene Person konstruieren kann, verliert diese Definition ihren Sinn.

Dieser Aussatz beschränkt sich daher auf einiger Beispiele, wie im Internet mit dem "Frau"-Sein als Künstlerin umgegangen wird. Doch zunächst folgen einige grundlegende Betrachtungen zu den Erfahrungen im Cyberspace.


Der Kulturraum Internet

Der Cyberspace versprach zu seinen Anfangszeiten eine Befreiung von der Last des Körpers mit all seinen Beschränkungen. Niemand sollte mehr wegen Geschlecht oder Rasse ausgeschlossen werden können, nur auf die Stimme, den Geist, der sich ohne Grenzen und Beschränkungen unbeschränkt verbreiten konnte, sollte es ankommen.

Die "Cyberspace Independence Declaration" [1] von John Perry Barlow, Mitbegründer der Electronic Frontier Foundation, einer Art Bürgerrechts Organisation des Internet, verdeutlicht diese libertäre Ideologie des Netzes auf beispielhafte Weise:

"Ours is a world that is both everywhere and nowhere, but it is not where bodies live. We are creating a world that all may enter without privilege oder prejudice accorded by race, economic power, military force, or station of birth."

Ganz abgesehen von einem speziell amerikanischen Verfassungspathos, das schon im Titel ersichtlich ist, wird hier die zu Anfang erwähnte Haltung, dass das Individuum im Netz von den körperlichen Fesseln befreit ist, deutlich. Dieses Versprechen ist jedoch, bedenkt man die materiellen Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um am Leben im Cyberspace teilzuhaben, nicht zu erfüllen. Das Internet ist mitnichten der ätherische, körperlose Raum, den die "kalifornische Ideologie" [2] uns vormachen will. Es besteht aus Metalldrähten, Silikon, Glasfaserkabeln, Kunststoff, Gummi und anderen Rohstoffen unserer technisierten Welt, aber auch aus den Menschen, die es aufbauen, aufrechterhalten, administrieren, programmieren und benutzen. Die Teilnahme an der "Welt am Draht" erfordert neben dem Zugang zu einem Computer, der technischen Infrastruktur, zuverlässige Telefon- oder sonstige Telekommunikationsverbindungen, auch noch Wissen um den Umgang mit Rechnern und die Fähigkeit schriftlich zu kommunizieren, neben der Muttersprache möglichst auch auf Englisch. All diese Voraussetzungen sind gleichzeitig Ausschlüsse derjenigen, die sie nicht erfüllen. Das sind, nicht überraschend, diejenigen, die auch sonst unterdrückt und unterpriviligiert sind: Arme, Menschen aus den sogenannten 3. Welt-Ländern und speziell Frauen aus diesen Gruppen, die doppelt ausgeschlossen sind, wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit und ihrer Armut und Ungebildetheit.

Die totale Freiheit, die uns die Apologeten der virtuellen Welt versprochen haben, gehört in einen ideologischen Kontext, dessen Elemente so disparate Dinge wie die Gegenkultur der 60er Jahre, den Versuch des amerikanischen Militärs ein dezentrales Netzwerk aufzubauen, das einem Atomschlag trotzen würde, oder kalifornisches Unternehmertum umfassen. Das Internet ist eine Erfindung des amerikanisch-westlichen Technoestablishments, dessen Entwicklung in dem männlich geprägten Kontext, der Computerwissenschaft und Ingenieurstechnik stattfand. Selbst heute, wo die Internetnutzung von Frauen in Deutschland 40% beträgt (Januar 2000) liegt die Entwicklung der Netzwerkprotokolle und Programmierung der Anwendungen fest in männlicher Hand. Die Zahl der Informatikstudentinnen zum Beispiel liegt in der BRD bei unter fünf Prozent [3].


Geschlecht als Konstruktion

"Here it is clearest that gender is information, discourse rather than nature -- and sexuality, offline or on it, functions linguistically. But the deployment of this potentially dematerialized information has material effects, and historically, they have been to the detriment of women. Net space, even with its highly performative inflection, is gendered in very traditional ways. We appropriate technology to our own physiques, and resolutely refuse to change our perceptions to fit the parameters of our inventions. We may indeed be becoming cyborgs, as Haraway suggests, but if so, we are cyborgs who perform traditional biology, Bladerunner androids passing as standard human bodies, and the standard body, the subject's body, is male."

Pamela Gilbert: On Space, Sex and Stalkers [4]

Körper und Geschlecht hängen eng mit der Identität eines Individuums zusammen. Verschiedene neuere Theorien aus dem Bereich der Gender Studies [5] gehen davon aus, dass Geschlecht (sowohl biologisches als auch soziales) grundsätzlich konstruiert ist und von den jeweiligen Individuen performativ dargestellt wird. Das heißt nicht, das jede/r frei ist, sich so darzustellen, wie er/sie es gerade möchte, da wir dabei an gesellschaftliche Normen gebunden sind. Diese Normen sind so stark, dass es sich die meisten, nachdem sie ihre Sozialisation durchlaufen haben, nicht mehr anders vorstellen können, dass sie eines der zwei in unserer Gesellschaft anerkannten Geschlechter haben. Diese Geschlechtsidentität ist aber nicht selbstverständlich oder die einzig mögliche, sie ist ein Konstrukt, dass vielfältigen diskursiven Gesetzen gehorcht. Wenn im realen Leben schon Identität in einem ständigen Prozess durch ständige Darstellung konstruiert wird, so gewinnt sie im Internet, wo es keine Körper gibt, eine neue Qualität. Zum einen konstruiert die Userin ihre Online-Identität wenigstens zum Teil bewusst. Es steht ihr frei, sich ihre Identität selbst zusammenzustellen. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihr reales Selbst und die es konstruierenden Machtdiskurse der Außenwelt plötzlich verschwinden. Sie spielen selbstverständlich eine wesentliche Rolle in ihrer Online-Persona. Das Material, das dem User für seine Konstruktion zur Verfügung stehen, besteht hauptsächlich aus geschriebener Sprache [6]. Dieses führt natürlich zu gewissen Einschränkungen in der Kommunikation mit anderen, da alle zusätzlichen Bedeutungselemente, wie Gestik, Mimik und Tonfall nicht vorhanden sind.

Trotz der Möglichkeiten, die sich dadurch bieten, halten sich in Chatrooms - virtuellen Räumen, die auf Text aufgebaut sind - die meisten Teilnehmer an die Geschlechtsstereotypen. Jeder Neuankömmling wird zuerst daraufhin abgeklopft, ob er oder sie ein Mann oder eine Frau ist. Da Chatrooms zum größten Teil zur Kontaktanbahnung sozialer (und sexueller) Art genutzt werden, ist diese Information natürlich wichtig. Es ist ohne weiteres möglich, sich als Mann in einen solchen Chat unter einem Frauennamen oder als Frau unter einem Männernamen einzuloggen. Diese Möglichkeiten werden auch genutzt, es ist aber nicht die Regel. Es geben sich jedoch eher Männer in den Chaträumen als Frau aus als umgekehrt. Die angeblichen Frauen werden von den männlichen Teilnehmern umschwärmt und bekommen mehr Zuwendung. Diese "Frauen" verhalten sich sehr viel stereotypisierter als "echte" Frauen. Im Gegensatz dazu übernehmen viele Frauen lieber ein männliches Pseudonym, um vor sexueller Belästigung geschützt zu sein, die in Chatrooms sehr häufig vorkommt. Die Möglichkeiten zum Spiel und anderen Umgang mit Identität werden hier also nur in einer bestimmten Form genutzt. In solchen sozialen Gruppen werden Geschlechtsstereotype weitergeführt und sogar verstärkt dargestellt [7]. Die Freiheit des Cyberspace führt nicht automatisch zu einem befreiteren Verhalten, der Kontext und die Funktion, in der der Internetzugang genutzt wird, spielt die wesentliche Rolle.

Nach diesen allgemeinen Reflexionen wenden wir uns einigen Kunstprojekte zu.


Alternative Körperlichkeiten

Die Möglichkeiten, die das "Identity-Bending" des Internet bieten, haben aber auch Künstlerinnen zu interessanten Arbeiten inspiriert, die die Möglichkeiten des Mediums nutzen.

Francesca da Rimini hat in ihren Arbeiten als Gashgirl <http://sysx.org/gashgirl/> eine Figur geschaffen, in der sich reales und virtuelles Leben vermischen und nicht mehr unterscheidbar sind. Die australische Künstlerin, die auch in der Gruppe VNS Matrix arbeitete, verbrachte die Jahre von 1994 bis 1997 größtenteils als ||gashgirl|| eingeloggt im Internet und führte dort verschiedene Beziehungen. Ihre Erfahrungen flossen in Texte und Bilder, in denen das Online-Sein poetisch auf vielen Ebenen reflektiert wird [8]. In ihren Arbeiten erschafft sie unterschiedlich virtuelle Persönlichkeiten und samplet Texte, Bilder und Töne, die Elemente aus verschiedenen Kontexten - Technologie, Pop Kultur, Politik, Geschichte, persönliche Erfahrungen - aufgreifen und neu zusammensetzen.

Ein anderes Projekt ist Victoria Vesnas "Bodies© INCorporated" [9] von 1996, das nicht nur einen Onlinecharakter entwirft, sondern eine ganze virtuelle Welt erschafft. In "Bodies© INCorporated" kann sich der User einen virtuellen Körper aus vorgefertigten Körperteilen, Oberflächen und Sounds zusammenstellen und mit anderen "Körpereigentümern" in einem 3-D-Environment kommunizieren. "Bodies© INC." benutzt Metaphern des Totenreiches und der Corporate Identity, um die veränderten Paradigmen von Körperlichkeit in der Informationsgesellschaft einer Analyse zu unterziehen. Wem gehört ein virtueller Körper, der aus von Softwarefirmen vorgefertigten Teilen hergestellt ist, wie verhalten wir uns in einer Umgebung, die zwar künstlich ist, in die wir aber unsere Vorurteile und Werte aus dem realen Leben mitnehmen, sind einige Fragen, die "Bodies© Inc." aufwirft. Das Projekt, das im gegenwärtigen E-Commerce-Boom geradezu prophetisch wirkt, ist zugänglich unter <http://bodiesinc.ucla.edu/>.


Cyberfeminismus

Die verschiedenen Künstlerinnen und Theoretikerinnen, die unter dem Label "Cyberfeminismus" zusammengefasst werden, haben gemeinsam, dass sie die Informationstechnologie als eine Möglichkeit für widerständige Aktionen sehen. Darüber hinaus gibt es aber unterschiedliche Auslegungen des Begriffs.

Wesentlich geprägt wurde der Cyberfeminismus von Donna Haraway, die in ihrem wegweisenden Aufsatz "A cyborg manifesto" [10] eine Utopie des Widerstands entwirft, in der sie das Verschwimmen der Grenzen zwischen Mensch und Maschine begrüßt und als Möglichkeit für eine kritische, materialistische Politik, die sich nicht auf Technologiefeindlichkeit beschränkt, sieht. Sie führt dabei die Cyborg in den Diskurs ein und beschreibt sie als Zwischenwesen, als Grenzgängerin zwischen den Welten, die sich allen Festlegungen entzieht. Dies erlaubt es ihr, eine Praxis zu entwickeln, die nicht essentialistisch und deterministisch ist, sondern offen für alle Möglichkeiten und Allianzen mit anderen Gruppen bleibt.

Die australische Künstlerinnengruppe VNS Matrix <http://sysx.org/vns/> nutzte Anfang der 90er Jahre als erste im Kunstkontext das Label "Cyberfeminismus", um die Männerdomäne Informationstechnik aufzurütteln. Die erste Arbeit von VNS Matrix bestand aus einem im Stadtraum von Sydney verbreiteten Plakat, in dem sie das "cyberfeminist manifesto" verkündeten:

"we are the modern cunt
positive anti reason
unbounded unleashed unforgiving
we see art with our cunt we make art with our cunt
we believe in jouissance madness holiness and poetry
we are the virus of the new world disorder
rupturing the symbolic form from within
saboteurs of big daddy mainframe
the clitoris is a direct line to the matrix
VNS matrix
terminators of the moral code
mercenaries of slime
go down on the altar of abjection
searching the visceral temple we speak in tongues
infiltrating disrupting disseminating
corrupting the discourse
we are the future cunt" [11]

Die Gruppe arbeitete bis 1997 gemeinsam an der Dekodierung der Machtdiskurse der Informationsgesellschaft und ihrer Technomythen und untersuchte die Konstruktion von Gemeinschaft, Identität und Sexualität im Internet. Ihre Arbeiten reichten von Online-Performances in MOOs [12], Installationen, CDroms und einem Computerspiel, das sich in der Planung für eine kommerzielle Nutzung befindet. Ihre ironische Herangehensweise fügte ein spielerisches Element in die strenge und systematische High-Tech-Welt ein, um durch den entstanden Riss widerständigen und unterdrückten Praxen einen Platz zu geben.

Gemeinschaften

Das Internet ist natürlich für die soziale Vernetzung Gleichgesinnter bestens geeignet. Dieses Potential wird auch von Frauen, die digital arbeiten, genutzt. Aus der Fülle der Zusammenschlüsse sei hier nur eine exemplarisch genannt.

Das Old Boys Network <www.obn.org> besteht aus einem wechselnden Kreis von Künstlerinnen, Kritikerinnen und Medienarbeiterinnen, die das gemeinsame Interesse an der Verbreitung des Cyberfeminismus zusammengeführt hat. Cyberfeministische Praxis bedeutet bei OBN die Stärkung von minoritären Positionen im gegenwärtigen Medienkulturdiskurs. OBN veranstaltet Treffen interessierter Frauen und unterstützt die Vernetzung und gegenseitige Förderung. Der Name Old Boys Network bezieht sich auf die amerikanische Tradition der Ehemaligenklubs in amerikanischen Universitäten, die im professionellen Leben die Positionen unter sich aufteilen. Die ironische Verwendung des Begriffs auf eine feministische Gruppe unterläuft die Geschlechtergrenzen und stellt die Arbeit von OBN auch in den Kontext der Genderdebatte und ihrer Auflösung fester Geschlechterrollen.

Woraus besteht das Netz?

Den Kreis zu unseren Anfangsbemerkungen über die materiellen Grundlagen des Cyberspace schließt ein Film der Schweizer Filmemacherin Ursula Biemann. Die Hardware, die die Fantasieflüge der virtuellen Realität erst ermöglicht, wird zum großen Teil in Schwellenländern von billigen Arbeitskräften, in der Regel Frauen, hergestellt. Ursula Biemann untersucht in ihrem Videoessay <Performing the Border> [13] die neuen Herrschaftsmuster, die beim Aufbau der digitalen Ökonomie entstehen, und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft der Länder, die sie ermöglichen. In Ciudad Juarez, einer mexikanischen Stadt an der Grenze zu den USA, lassen viele amerikanische Elektronikfirmen ihre digitalen Geräte herstellen. Eine Serie von Morden an den Maquiladoras, den Arbeiterinnen in den Elektronikfabriken, dient als Ausgangspunkt für eine Untersuchung, die "[...] Fragen nach dem Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und privatem Raum und der Verbindung zwischen sexualisierter Gewalt und Massentechnologien der Informationsgesellschaft stellt" [14]. Biemann lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Basis, auf die materiellen Bedingungen der digitalen Kultur, die im Zuge der Popularisierung und Kapitalisierung des Internet aus dem Bewusstsein verschwunden sind. Die Menschen in Juarez, die die digitale Revolution durch ihre Handarbeit erst möglich machen, gehören nicht zu dem Kreis derer, die davon profitieren. Dies sollte uns zu denken geben, wie die Verhältnisse im Cyberspace beschaffen sind.


Anmerkungen

[1] John Perry Barlow: A Cyberspace Independence Declaration, 1996. <http://www.eff.org/pub/Misc/Publications/John_Perry_Barlow/barlow_0296.declaration>, last visited: 12.08.2000
[2] Ein Begriff, der 1997 von Richard Barbrook und Andy Cameron in die Debatte eingeführt wurde und die Allianz von amerikanischer Gegenkultur und Netzentrepreneurtum beschreibt. Richard Barbrook und Andy Cameron: Die kalifornische Ideologie, 05.02.1997 <http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/1007/1.html>, last visited: 12.08.2000
[3] Das scheint sich jedoch in letzter Zeit zu ändern. Weitere Informationen zur Entwicklung der "Frauenfrage" in der Informatik u.a. Heidi Schelhowe: Computer in der Informationsgesellschaft: Technologie mit neuem Gesicht - und altem Geschlecht? 1999. <http://waste.informatik.hu-berlin.de/Schelhowe/Geschlecht+Inf98.html> und dieselbe: Die Krise für Veränderungen nutzen! Technologie und Geschlechterverhältnis in der Informationsgesellschaft. In: Bath, Corinna; Kleinen, Barbara (Hrsg.): Frauen in der Informationsgesellschaft: Fliegen oder Spinnen im Netz? Mössingen-Talheim: Talheimer Verlag 1997. <http://waste.informatik.hu-berlin.de/Schelhowe/Infoges.-Geschlecht1997.html>
[4] Pamela Gilbert: On Space, Sex and Stalkers <http://www.echonyc.com/~women/Issue17/art-gilbert.html> in: Women and Performance, Issue 17: Sexuality and Cyberspace <http://www.echonyc.com/~women/Issue17/index.html>
"[...] Geschlecht ist Information, es gleicht eher einem sprachlicher Diskurs als einer natürlichen Eigenschaft - und Sexualität, ob online oder offline, geschieht auf einer sprachlichen Ebene. Aber die Anwendung dieser dematerialisierten Information hat materielle Effekte, die in der Vergangenheit zum Schaden von Frauen angewendet wurden. Die Geschlechtskonstruktion im Internet ist, trotz der Möglichkeiten der Performanz, sehr traditionell. Wir gleichen unsere Technologien unseren physischen Merkmale an und weigern uns standhaft, unsere Wahrnehmung an die sich verändernden Parameter unserer eigenen Erfindungen anzupassen. Es mag schon sein, dass wir Cyborgs werden, wie Haraway sagt, aber wenn das stimmt, dann sind wir Cyborgs, die traditionelle Biologie vorführen, Bladerunner, Androiden, die als menschliche Standardkörper durchgehen, und der Standardkörper, der Körper des Subjekts, ist männlich." Eigene Übersetzung.
[5] siehe vor allem Judith Butler: Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity, New York: Routledge, 1990 (dt.: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991) und dies.: Bodies That Matter, New York: Routledge, 1993 (dt.: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt/M. 1997).
[6] Es gibt natürlich auch virtuelle Welten, die auf Grafik basieren, so dass der User sich seinen Avatar aus grafischen Elementen aufbauen und sich in einer - noch recht groben - 3D-Welt bewegen kann. Die meisten virtuellen Gemeinschaften basieren jedoch auf Text, seien es Usenet-Boards, MOOs und MUDs oder Mailinglisten.
[7] Aus einer Präsentation von Evelyn Teutsch, HGB Leipzig, während der mikro.lounge #5 "geschlecht.im.netz", Juli 1998, Berlin WMF Club. Eine Dokumentaion der Veranstaltung findet sich unter <http://www.mikro.org/Events/19980701.html>
[8] Ein Buch, in denen sie ihre Erlebnisse festhält, soll demnächst unter dem Titel "Fleshmeat" bei Shake Editions <http://www.shake-editions.com> erscheinen.
[9] Eine ausführliche Dokumentation findet sich unter <http://vv.arts.ucla.edu/projects/bodies_inc_overview.htm>.
[10] Donna Haraway: A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century, in dies.: Simians, Cyborgs and Women: The Reinvention of Nature, New York: Routledge, 1991, pp.149-181. Ursprünglich erschien der Artikel in leicht geänderter Form 1985 in Socialist Review 80, 1985, S. 65-108.
[11] Siehe unter <http://sysx.org/vns/manifesto.html>
[12] Eine Art textbasierter virtueller Raum, in dem sich die User treffen und miteinander und den sie umgebenden Dingen interagieren können. Eine Einführung befindet sich z.B. unter <http://cinemaspace.berkeley.edu/~rachel/moo.html>
[13] Informationen zum Film finden sich auch folgender Webseite: <http://www.lumpen.com/dhtml/lumpenvision/channels/lumpenvision/ursula_border.html>. Zusätzlich ist im August 2000 ein Buch mit Materialien erschienen: Ursula Biemann (Hrsg.): been there and back to nowhere. Gender in transnational spaces, post production documents 1988 - 2000, Berlin: b_books, 2000.
[14] "A video essay set in the Mexican-US border town Ciudad Juarez, where the US industries assemble their electronic and digital equipment. <Performing the border> looks at the border as both a discursive and a material space and discusses the sexualisation of the border region through gendered labor division, prostitution, the expression of female desires in the entertainment industry, and sexual violence in the public sphere. The serial killings in Juarez raise questions of the public/private and the entanglement between eroticized violence and mass technologies of the information society. Interviews, scripted voice over, quoted text on the screen, scenes and sounds recorded on site, as well as found footage are combined to give an insight into the gendered conditions inscribed in the border zone." Text der Website <http://www.lumpen.com/dhtml/lumpenvision/channels/lumpenvision/ursula_border.html> entnommen, eigene Übersetzung.

V. Djordjevic 09/2000



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