Textverarbeiter und Screendesigner

Internet für Netzkünstler leicht gemacht

Man kann Netzkünstler in zwei Gruppen einteilen, die Textverarbeiter und die Screendesigner.
Diese zwei Begriffe bezeichnen nicht einfach zwei unterschiedliche Arbeitsweisen, sondern grundsätzlich verschiedene Kulturen. Ich möchte behaupten, dass nur die ersteren relevante Aussagen zum Zustand des Internet, seiner Beziehung zur Gesellschaft und zur Kunst zu treffen im Stande sind. Nur sie beschäftigen sich mit den Mechanismen und Strukturen des Mediums, bewegen sich in ihm wie in ihrer natürlichen Umgebung und macht dort Kunst.

Die Unterschiede äußern sich schon bei der Wahl des Rechners ( und des Betriebssystems). Screendesigner benutzen üblicherweise Macs, einen Computer, dessen - laut Eigenwerbung - "benutzerfreundliches" Interface die Beschäftigung mit den Strukturen digitaler Datenverarbeitung geradezu verhindert. Die "intuitiv" zu benutzende Oberfläche lässt einen Blick hinter die Kulissen der Desktop-Oberfläche gar nicht zu. Menschen benutzen ihren Computer nur auf die Weise, die ihm vom System vorgegeben wird - und der Mac gibt so viel vor, dass einem nur die Gestaltung von Bildschirmen übrigbleibt. Alle Grafikdesigner benutzen Macs. Es lassen sich sicherlich hübsche Bilder damit herstellen und bearbeiten.

[Abbildung 1: lächelnder Mac (Startbildschirm)]

Mit der Entwicklung des WorldWideWeb hält diese Einstellung auch im Internet Einzug. Das Web ist sehr leicht als reines Publikationsmedium misszuverstehen, auf das man die im Printbereich bewährten Layouttechniken übertragen kann. So quellen immer mehr Seiten über von grafischem Schnickschnack und überdimensionierten Applets, die nur versuchen die verqueren Vorstellungen der Designer von Benutzerführung durchzusetzen. Der Bildschirm ist die leere Leinwand, die weiße Seite, die gefüllt werden muss. Wie oft hört man Beschwerden von Grafikdesignern, dass die Möglichkeiten der Dokumentenbeschreibungssprache HTML nicht ausreichend sind. Diese Menschen haben nichts vom Wesen des Netzes verstanden, das in erster Linie ein Ort des Informationsaustauschs und der Kommunikation ist. Mit dem Kommunikationsdesign sind viele Grafiker komplett überfordert, da dieses Problem für sie im Printbereich gar nicht auftaucht, weil es von anderen Leuten schon erledigt ist. Allerdings lässt es sich auch nicht eins zu eins ins Netz übertragen.

Die Art von Kunst, die dabei entsteht, möchte ich web.art nennen entgegengesetzt zu net.art. Der Begriff web.art kam innerhalb der net.art-Diskussion auf, als irgendjemand feststellte, dass Netzkunst hauptsächlich im WorldWideWeb stattfinden würde. Das mag stimmen, kann aber so nicht in den Vordergrund gestellt werden, da es die Möglichkeiten für Künstler schon begrifflich auf die Gestaltung von Oberflächen beschränkt. web.art kann genausowenig netzspezifisch sein wie die abgescannten Ölbilder einiger Sonntagsmaler, aber auch die Netzpräsenz einiger größerer Galerien .

Eine unterschwelliges Vorurteil besagt, dass sich künstlerische Kreativität und technische Kompetenz ausschließen würden. Es ist immer noch ungewöhnlich, wenn man sich als kulturinteressierter Mensch, ob rezipierend oder produzierend, für technische Entwicklungen interessiert oder gar mit technischem Gerät arbeitet. Was dabei technisch ist, unterliegt allerdings dem gesellschaftlichen Wandel. Während Computer - außer Macs - als technisch gelten, sind Videokameras, Fotoapparate und ähnliche Geräte zur visuellen Aufzeichnung kreativere Werkzeuge, bei denen der technische Aspekt zu "Handwerk" verklärt wird.

Künstler kaufen sich in der Regel einen Mac, wenn sie digital arbeiten wollen. (Die einzigen Künstler, die ich kenne, die keinen Mac benutzen, stammen aus Osteuropa, und arbeiten mit MS Windows. Das ist allerdings auch nicht besser) Mit dem Schwerpunkt, der dabei auf das Benutzerinterface gelegt wird, geraten allerdings grosse Teile der Netzwelt aus dem Blick. Die Konzentration auf die Oberfläche verhindert eine weitergehende Beschäftigung mit den textuellen Strukturen des Internet, die das Rückrat des Rechnernetzes ausmachen.

Ich möchte gar nicht behaupten, dass man als Künstler unbedingt wissen muss, wie in der Black Box des Computers die Bits verarbeitet werden - schaden tut es allerdings auch nicht. Ein grundsätzliches Verständnis, wie die vielen Computer, die im Internet miteinander kommunizieren, ist aber unbedingt erforderlich, wenn Künstler Internet als Terrain ihrer Kunst benutzen. Das Netz ist keine Terra Incognita, keine New Frontier, die es mit grafischen Elementen und Shockwave-Plugins zu kolonisieren gilt. Künstlerische Aussagen bleiben ansonsten hinter ihren Möglichkeiten und denen des Netzes zurück.

Und hier kommen wir zu den Textverarbeitern. Das ist eine Gruppe von Künstlern, die das Netz als das versteht, was es ist, als ein Kommunikationsgeflecht, das eigentlich gar nicht vorhanden ist, das nur existiert, weil sich Millionen von Computern (aber auch Menschen) ununterbrochen Nachrichten schicken. Textverarbeiter nenne ich sie deshalb, weil sie begriffen haben, dass das Internet textbasiert ist, und jeder kreative Akt dadurch geschieht, dass man Teil wird dieses Nachrichtenflusses, seine Zeichen versteht, manipuliert und verändert wieder einspeist.

Dazu muss ich ein wenig Nachhilfe in Sachen Internet geben. Die Serverstruktur des Internet basiert hauptsächlich auf der Betriebssystemfamilie Unix. Die Arbeitsoberfläche wird Leuten, die PCs oder Macs benutzen, wie ein Relikt aus uralten Zeiten erscheinen, als der blinkende DOS-Cursor auf dem Bildschirm auf die Eingaben des Nutzers wartete. Auf einem Unix-Rechner gibt man meist die Befehle noch auf der Kommandozeile ein. Das heißt jedoch nicht, dass es ein altmodisches Betriebssystem wäre, im Gegenteil, man muss nur wissen, was man tun möchte, dann hat man in der Regel mehr Möglichkeiten, als bei den anderen Geräten. Vor allem für Server ist Unix das Betriebssystem der Wahl, da es die Kapazitäten der Maschine optimal ausnützt und schon zu Beginn seiner Entwicklung multitasking und multiuserfähig war.

Mit der Entwicklung von Unix eng verbunden ist auch TCP/IP, das Transportprotokoll des Netzes (eigentlich sind es viele verschiedene Protokolle, aber das führt hier zu weit). Die Datenpackete, die im Internet auf ihre Reise um die Welt geschickt werden, bestehen - außer der eigentlichen Nachricht - aus Steuercodes, Routinganweisungen, Übertragungsaufzeichnungen und anderen Protokollanweisungen. Alle Internetdienste basieren auf simplen Übereinkünften der Rechner: ein Rechner fragt bei einem anderen Rechner in festgelegter Form nach bestimmten Information und der andere antwortet entweder mit den Informationen oder Fehlermeldungen, wieso es nicht möglich war, die Anfrage richtig zu beantworten.

Ein einfaches Beispiel ist der Dienst elektronische Post - Email - einer der meistgenutzten Dienste des Netzes. Normalerweise holt man seine Mail mit einem Mailprogramm über Menüs und Buttons, so dass man sich nicht um die darunterliegenden Mechanismen kümmern muss. Man kann sich allerdings auch ohne Vermittlung mit seinem Mailserver unterhalten. Dazu muss man sich mit einem Telnet-Programm (auch so ein Protokoll: es erlaubt das Arbeiten auf einem entfernten Rechner) auf dem Server einloggen und dann mit den Wörtern LIST eine Liste der Nachrichten anzeigen lassen, mit RETR einzelne Nachrichten ansehen, diese mit DELE löschen und so weiter.

Unterhaltung mit einem POP3-Server

Auf diesem Prinzip funktioniert auch das WWW, News und andere Internetdienste. Die Rechner schicken sich gegenseitig Anfragen und beantworten diese. Diese Textbasiertheit und somit grundsätzliche Lesbarkeit ist wesentliches Charakteristikum der Netzwelt. Ohne Verständnis dafür arbeiten Netzkünstler am Medium vorbei.

Das Internet ist also kein wirklich visueller Ort. Die Metaphern vom Cyberspace und Multimedia führen in die Irre. Es ist eine ganz eigene Welt, in der sich schon eigene Lebensformen entwickelt haben und Maschinen sich in ähnlicher Weise verständigen wie Menschen. Einige der neuen Spezies werden Robots, Spiders, Agents genannt. Sie durchforsten täglich (wobei das Wort in diesem Zusammenhang wenig Sinn macht, da es diesen kleinen Programmen an Zeitgefühl gebricht) das Netz, halten Chatkanäle offen und unterhalten sich sogar manchmal - miteinander? - oder sammeln Informationen für die schwerbeschäftigten Menschen, die mit der stetig wachsenden Informationsflut nicht mehr zu Rande kommen.

Diese Programme sind oft als Skripte realisiert. Sie werden in Programmiersprachen geschrieben, die vor der Ausführung nicht erst vollständig in maschinenlesbaren Binärcode übersetzt werden, sondern deren Anweisungen in der Reihenfolge, in der sie aufgeschrieben werden, nacheinander ausgeführt werden, und in der Unix-Umgebung für alle möglichen Administrations- und Automatisierungsaufgaben genutzt werden. Für Webentwickler (somit eigentlich auch für Netzkünstler) ist dabei Perl (Practical Extraction and Reporting Language) zur wahrscheinlich wichtigsten Sprache geworden.

Die ursprüngliche Absicht bei der Entwicklung von Perl war laut Larry Wall, ihrem Erfinder, eine Sprache zu entwickeln, welche fähig ist, große Textmengen, die sowohl bei Systemadministratoren als auch bei Web- und Netzentwicklern anfallen, zu verarbeiten. Verarbeitung meint hier nicht, wie in Textverarbeitungsprogrammen wie Word gemeint, die Möglichkeit Texte zu editieren, sondern zum Beispiel die automatische Erzeugung von formatierten Seiten aus dem Informationsmaterial einer Datenbank oder die automatisierte Veränderung vorgefundener HTML-Seiten zu anderen HTML-Seiten. Das sind Anwendungen, die leicht auch in einem Netzkunstprojekt vorkommen können (und auch vorkommen). Bei einer ausschließlichen Konzentration auf das Oberflächendesign würde einem der Gebrauch solcher Werkzeuge gar nicht erst einfallen.

Dies wird in der avancierten Netzkunst natürlich auch getan: Agenten, die das Netz durchkämmen und nach HTML-Seiten zu bestimmten Themen oder Stichworten suchen, bildeten das Fundament für without_addresses, dem Webprojekt von Blank&Jeron für die dokumenta X, die Mailingliste 7-11 widmet sich dem kollektiven Schreiben und der Untersuchung der Asccii-Art, Jodi.org dekonstruieren den HTML-Code, den Text, aus dem das WorldWideWeb gemacht wird, um nur einige zu nennen.

Blank&Jeron verarbeiten die Mailingliste 7-11 http://sero.org/sero/various/7-11/

Das ist die Welt, in der echte Netzkunst stattfindet. Immer noch jedoch wird zu oft der Schein des Bildschirms für das Ganze genommen und vergessen, woher das Netz kommt - aus einer Subkultur verrückter Programmierer, die aus einem Aprilscherz ein neues literarisches Genre entstehen haben lassen - Perl Poetry. Aber das ist ein anderes Thema. Ich kann nur hoffen, dass mein Text ein wenig Lust geweckt hat, die Textflüsse des Netzes lesen zu lernen. Dazu muss man nicht mal seinen Mac wegwerfen.

Vali Djordjevic <validd@gmail.com>



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